Bleiben oder gehen? Was Führung wirklich mit Retention zu tun hat
- merheim3
- 20. Mai
- 4 Min. Lesezeit
„Ich wusste gar nicht, dass du überhaupt unzufrieden warst.“ „War ich auch nicht. Zumindest nicht so richtig. Es hat sich nur einfach nichts mehr bewegt.“
So oder so ähnlich laufen viele Exit-Gespräche. Nicht mit Frust oder Drama – sondern mit einem Schulterzucken. Die Luft ist raus, das Vertrauen weg. Und irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem die Kündigung nicht mehr wehtut. Sie fühlt sich an, wie eine logische Konsequenz.
Und genau das macht Retention heute so herausfordernd. Denn Mitarbeitende gehen nicht wegen eines einzelnen Fehlers. Meist gehen sie, weil gleich mehrere Aspekte nicht passen. Führungskräfte spielen dabei jedoch eine besonders wichtige Rolle.
Wechselbereitschaft verstehen: Was Menschen bindet – und was nicht
Laut den XING-Wechselbereitschaftsstudien 2024 und 2025 ist mehr als ein Drittel (37 %) der Beschäftigten wechselbereit. Besonders wichtig bei der Wahl eines neuen Arbeitgebers sind ihnen:
Ein langfristig sicherer Job (69 %)
Gutes Führungsverhalten (66 %)
Ein höheres Gehalt (61 %)
Flexible Arbeitszeitmodelle (61 %)
Ein attraktiver Standort (60 %)
Umgekehrt geben Beschäftigte, die ihrem Arbeitgeber treu bleiben wollen, ebenfalls gute Führung (69 %) und Jobsicherheit (75 %) als Top-Gründe an. (Quelle: Xing)
Aber es zählen nicht nur die „harten“ Faktoren. Auch individuelle Bedürfnisse spielen eine zentrale Rolle. Sinn, Work-Life-Balance und Entwicklungsmöglichkeiten bestimmen, ob Mitarbeitende ihrem Arbeitgeber langfristig treu bleiben.
Die Rolle der Führung in der Mitarbeiterbindung
Retention ist keine reine HR-Maßnahme. Und auch keine Aufgabe, die die Führung allein tragen kann. Für die strategische Mitarbeiterbindung braucht es Strukturen, Haltung und gemeinsame Verantwortung. Aber am Ende zählt das, was Menschen im Alltag erleben. Und das geschieht zu einem großen Teil über die Führung. Doch laut Gallup Engagement Index 2024 vertrauen nur noch 21 % der Beschäftigten ihrer Führungskraft uneingeschränkt.
Viele Unternehmen unterschätzen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter häufig nicht das Unternehmen selbst verlassen, sondern aufgrund unzureichender Führung kündigen. Eine schwache Führungskultur hat dabei unmittelbare Auswirkungen auf die gesamte Unternehmenskultur. Und damit schließlich auch auf die Mitarbeiterbindung.
Ohne Führung, die Haltung zeigt, wird Kultur zur leeren Hülse.
Vier Hebel, mit denen Führung Bindung schafft
Doch woran liegt es, wenn Mitarbeitende emotional längst gekündigt haben? Es sind eher selten die fehlenden Obstkörbe oder Kickertische. Es liegt an einer Führung, die das Vertrauen verloren hat. Doch wie gelingt Führung, die tatsächlich Bindung erzeugt? Vier konkrete Hebel machen den Unterschied:
Vertrauen aufbauen – nicht voraussetzen: Vertrauen entsteht durch konsistente Kommunikation, gelebte Werte und nachvollziehbare Entscheidungen. Wer zuhört, Feedback ernst nimmt und transparent führt, schafft Bindung und stärkt die kulturelle Substanz des Unternehmens.
Wertschätzung zeigen – regelmäßig, auch außerhalb des Jahresgesprächs: Ein einfaches „Danke“, ein ehrliches Feedback, das Sehen von Entwicklung – das bleibt hängen. Wertschätzung ist kein Extra, sie ist Führungspflicht. Und sie ist essenziell für eine gesunde Unternehmenskultur.
Psychologische Sicherheit schaffen: Teams, die offen mit Fehlern umgehen, Fragen zulassen und Kritik wertschätzen, reduzieren die Fluktuation. Das zeigt unter anderem die Forschung von Amy Edmondson zur "Fearless Organization". Wenn Führungskräfte aktiv eine „Speak-up“-Kultur ermöglichen, in der Mitarbeitende sich nicht fürchten müssen, verlieren sie seltener Talente.
Klarheit und Richtung geben: Gerade in unsicheren Zeiten suchen Menschen Halt. Führungsverhalten, das Orientierung gibt, stärkt das Vertrauen. Dieses Vertrauen bildet die Grundlage für Loyalität und fördert so die langfristige Mitarbeiterbindung.
Führung messbar machen – und entwickeln
Damit Führung nicht im Bauchgefühl stecken bleibt, braucht es systematische Messungen. Beispielsweise durch regelmäßige Pulsbefragungen, 360-Grad-Feedbacks oder gezielte Trust- und Engagement-Scores. Diese Methoden helfen dabei, die Qualität von Führung sichtbar zu machen und gezielt weiterzuentwickeln. HR spielt hierbei eine zentrale Rolle, indem es Leadership-Programme, Coaching-Angebote, Feedbackformate oder klare Guidelines für Führung auf Distanz bereitstellt. So wird Führung nicht nur messbar, sondern auch nachhaltig gestärkt.
Retention stärken: Diversity, Perspektiven, Age Mix & Co.
Die Kienbaum / Stepstone-Studie 2024 zeigt unter anderem, dass besonders für Talente mit Zukunftsambitionen Weiterbildungsmöglichkeiten und Entwicklungsperspektiven zentrale Bleibegründe sind. Aber das gilt nicht nur für die „High Potentials“ unter 30 oder 40 Jahren. Auch erfahrenere Mitarbeitende brauchen Perspektiven – sei es durch Re- und Upskilling, interne Stellenwechsel, Projektwechsel oder flexible Karrierepfade. Age Diversity ist dabei ein häufig unterschätzter Faktor. In altersgemischten Teams entsteht nicht nur Wissenstransfer, sondern auch emotionale Stabilität. Unternehmen, die generationenübergreifend denken, binden langfristiger. Und sie wirken attraktiver für Bewerbernde aller Altersklassen. Ein gutes Beispiel für erfolgreiche Altersdiversität bietet die Deutsche Bahn.
Insgesamt bleibt das Thema Diversity zentral. Nicht trotz, sondern gerade wegen aktueller gesellschaftlicher Diskussionen mit Blick auf Nordamerika. Wer Vielfalt ernst nimmt, erhöht nicht nur die emotionale Bindung, sondern auch die wirtschaftliche Performance. Das Whitepaper „Diversity – Ein Schlüssel zum nachhaltigen Erfolg“ des Queb Bundesverbands beleuchtet die Vorteile vielfältiger Unternehmen. Es zeigt mit zahlreichen weiterführenden Quellen, wie Diversity Produktivität, Innovation und wirtschaftlichen Erfolg steigert. Aus dieser Perspektive heraus wird deutlich, dass eine diverse Unternehmenskultur mehr als ein Imagefaktor ist. Sie ist neben einem entscheidenden wirtschaftlichen Wettbewerbsvorteil auch hinsichtlich der Bindung von Mitarbeitenden ein essenzieller Faktor.
Was Tools in Sachen Retention leisten können – und was nicht
Technologie wird oft als Lösung verkauft. Aber Software rettet keine schlechte Führung. Allerdings kann sie Führungskräfte unterstützen. Doch wie genau? HR-Analytics, KI-gestützte Tools oder digitale Frühwarnsysteme helfen dabei, Muster bei Fluktuation oder sinkendem Engagement frühzeitig zu erkennen. Sie ermöglichen damit gezielte Optimierungen. Auch Software wie Personio, Kudos, Motivosity und Ähnliche bieten viele hilfreiche Funktionen. Dazu gehören etwa Echtzeit-Feedback, Engagement-Analysen und Belohnungssysteme, die die Bindung von Mitarbeitenden stärken können. Zudem ermöglichen KI-gestützte Tools wie etwa Eightfold AI personalisierte Lernpfade und maßgeschneiderte Entwicklungsmöglichkeiten, um langfristige Motivation zu fördern.
Technologie kann darüber hinaus eine Kultur der Wertschätzung und Transparenz unterstützen. Beispielsweise durch Gamification-Elemente oder Peer-to-Peer-Anerkennung, die das Zugehörigkeitsgefühl im Team stärken. Gleichzeitig müssen Unternehmen mögliche Herausforderungen berücksichtigen. So kommt es gelegentlich zu Widerständen gegen neue Technologien. Und auch den Schulungsbedarf für Mitarbeitende, um die Tools effektiv einzusetzen, sollten Unternehmen einkalkulieren.
Wichtig dabei: Die Technik liefert Daten und unterstützt datenbasierte Entscheidungen. Doch die Verantwortung, diese Erkenntnisse in eine wertschätzende und motivierende Unternehmenskultur umzusetzen, bleibt eine menschliche Aufgabe.
Glaubwürdigkeit entsteht zwischen Menschen und nicht durch Kampagnen
Schlechte Führung wirkt nach außen und innen wie Gift. Wenn Mitarbeitende intern schweigen, reden sie extern umso lauter – auf kununu, LinkedIn und in persönlichen Gesprächen. Aus dem internen Problem wird schnell ein öffentlich sichtbarer Schaden.
Employer Branding endet eben nicht bei EVP-Workshops und Karriereseiten. Wenn Führung im Alltag nicht funktioniert, wird das schnell sichtbar. Sinkende Weiterempfehlungsraten, kritische Bewertungen oder das Ausbleiben qualifizierter Bewerbungen.
Schlechtes Word-of-Mouth ist ein leiser Brandherd, der jede Kampagne untergräbt.
Gemeinsam binden: Retention als Führungs- und HR-Aufgabe
Retention entscheidet sich jeden Tag neu: In jedem Meeting, jedem Feedback und jeder kleinen Entscheidung. Wer echte Bindung will, braucht Führungskräfte, die Menschen begeistern, statt sie nur zu verwalten. Führung ist kein „nice-to-have“, sondern eine der wichtigsten Investitionen in die Zukunft eines Unternehmens.
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